Donnerstag, 30. Juni 2011

Frikadelle des Anstoßes

- Jede Mensa hat ein vegetarisches Angebot, es ist sehr wichtig, aber nicht sehr umfangreich. Manche Mensen meinen, alle paar Monate mal einen ausschließlich vegetarischen Tag einlegen zu müssen.

- Das ist wichtig für das Klima, aber auch für das Ego der Organisatoren.

- Manche Fachschaftsräte meinen daraufhin auf dem Campushof einen Grill aufstellen und Protest-Bratwürste grillen zu müssen. Das ist wichtig für alle Männer, die keinen Tag ohne Tier auf Toast auskommen können.
Ich beurteile hier nichts moralisch. Ich weiß ja auch gar nicht, ob ich diesen Veggie-Tag für eine gute oder schlechte Idee halte. Stattdessen freu ich mich nur über ein breiteres fleischloses Angebot.

- Es ist doch aber so, dass Menschen von Natur aus Allesfresser sind. Deswegen haben wir sowohl Eckzähne, die evolutionsgeschichtlich zum Reißen der lebendigen Beute vorgesehen waren sowie Vormahl- und Mahlzähne zum Zermalmen harter (zellulosehaltiger) Nahrung.

- Gehen wir von dem Natur-Argument aus, so sind Menschen wahrscheinlich auch nicht für monogame Beziehungen vorgesehen. Unsere nächsten Verwandten, die Zwergschimpansen und Schimpansen leben in fröhlichen, Harem-artigen Zuständen und auch wir wechseln im Leben mehrmals den Partner. Es ist für Menschen ebenfalls nicht natürlich zu fliegen und sich Organe herausnehmen zu lassen. Dennoch stecken wir uns Ringe an die Finger, fliegen in den Urlaub und lassen nahezu problemlos Blinddarmoperationen durchführen. "Natürlich" bedeutet weder "moralisch richtig" noch "moralisch falsch" und es bedeutet ebenso wenig "vorbestimmt". Wir sind doch sonst so stolz über den Sieg der Wissenschaft über die Natur, der uns ermöglicht ein komfortables und schmerzfreies Leben zu leben und 90 Jahre alt zu werden. Solange es um unseren Komfort geht, stört es uns nicht, wenn etwas unnatürlich ist. Überhaupt stört es uns nur dann, wenn es darum geht, unseren Komfort vielleicht einschränken zu müssen.

- Man braucht Proteine und Eisen zum Überleben. Fleisch enthält die nötigen Stoffe in den nötigen Mengen, die der menschliche Organismus evolutionsbedingt zum Überleben braucht.

- Es ist einfacher, sich die nötigen Proteine und das Eisen aus dem Fleisch zu holen, doch es ist nicht unmöglich, sie zum Beispiel ebenso aus Milchprodukten, Eiern, Nüssen und roten Früchten und Beeren zu beziehen. Wenn man Lust hat und sich Mühe gibt, kann man sich leicht im Internet über die entsprechenden Lebensmittel informieren. In einer hochentwickelten Zivilisation gibt es immer Alternativen und niemand muss dann an Mangelerscheinungen leiden. Sonst würde ja jeden Tag irgendwo ein Vegetarier vom Bürostuhl fallen.

- Tiere essen sich auch gegenseitig. Wenn man alle lebendigen Organismen auf der Welt bedenkt – also auch Plankton zum Beispiel – so ist es doch das Schicksal der meisten Kreaturen, gefressen zu werden. Und wenn ein Tiger zum Beispiel die Gelegenheit hat, einen Menschen zu fressen, wird er es tun. Die Natur hat es eben so eingerichtet, dass das Überleben eines Organismus vom Tod der anderen Organismen abhängt. Auf die Spitze getrieben könnte man sagen, ohne diese Wechselwirkung gäbe es nicht das Prinzip der natürlichen Auslese und keine Evolution.

- Tiere jagen und fressen sich gegenseitig in ihrer natürlichen Umgebung, das ist richtig. Und niemand will hier der Natur in ihre Wirkungsmechanismen reinreden. Aber, um das Problem mit diesem Argument näher beschreiben zu können, müsste man ein bisschen weiter ausholen.
Und zwar: Es gibt in der Industriewelt einfach zu viele Menschen. Ja, zugegeben, in Regionen wie Südostasien gibt es viel zu viele Menschen, aber die haben einen quantitativ anderen Fleischkonsum als der Westen (und es wäre auch monströs, wenn ihr Fleischkonsum genau so hoch wie der des Westens wäre). Nein, aber es sind wir, die den Luxus, den wir einmal mit Hilfe der Industrialisierung und der Massenfertigung erlangt haben, nicht mehr missen wollen. Wir brauchen unsere Grillwochenenden und unsere McDonalds Burger nach einer Party nachts um halb vier. Aber die Tiere, aus denen das Ganze gemacht wird, werden nicht von uns in natürlicher Umgebung gejagt, sondern extra dafür erschaffen, um gegessen zu werden. Und zwar in automatisierten Verfahren, die eine Massenverarbeitung des von ihnen stammenden Fleisches ermöglichen. Ist es möglich, ein Tier noch mehr von seiner natürlichen Umgebung zu entfernen? Das Problem mit diesem Argument ist also nicht, dass sich Lebewesen gegenseitig töten – weil es ja natürlich ist – sondern, dass man dieses gegenseitige Töten nicht mit der Massentierhaltung und unserer Art, Tiere zu töten, vergleichen kann.

- Tiere haben keine Selbstwahrnehmung, also macht es nichts, wenn wir sie nur als Fleischproduzenten halten, sie nehmen es nicht wahr und sie leiden ja möglicherweise gar nicht, sie kämpfen nicht um das Überleben, leiden keinen Hunger oder Kälte und kennen auch kein anderes Leben.

- Über die Selbstwahrnehmung und die Empfindungen der Tiere weiß man noch nicht alles und es wird noch geforscht. Tatsache ist aber, dass sie Schmerzen, Freude, Trauer und Empathie auf einem grundlegenden Level empfinden können. Manche Hunde und Katzen (vor allem solche, die nicht gegen ihr Spiegelbild kämpfen) vermitteln den Eindruck, dass sie sich selbst sehr wohl wahrnehmen können.
Wir haben zwar schon gesagt, dass wir unser Leben nicht unbedingt wie von der Natur vorgesehen leben müssen. Wir tun das vor allem um unser Leben zu verbessern, aber bei der Massentierhaltung ist das ja wohl sicher nicht der Fall. Das ist zwar nur Spekulation, aber ich vermute, dass Tiere die ihr ganzes Leben in der Massentierhaltung verbringen sehr wohl Leid empfinden und zwar aus dem Grund, dass ihre Lebensbedingungen bedeutend schlechter sind als in der freien Natur. Denn obwohl sie nicht verhungern oder frieren, so fehlen doch den Kühen zum Beispiel Wiesen und frische Luft oder frisches Gras oder den Schweinen die Möglichkeit im Dreck zu wühlen oder sich generell zu beschäftigen (und ihre Instinkte sagen ihnen ja vielleicht, dass sie das gern tun würden).
Wer weiß, wie die Menschheit in ein paar Jahrhunderten über Massentierhaltung denken wird. Tendenziell – und das ist doch sehr gut – neigen wir dazu, immer humaner mit den Schwachen umzugehen. Zunächst hören wir auf, unsere Sklaven zu Tode zu prügeln – oder überhaupt zu versklaven, dann stellen wir fest, dass wir unsere Kinder besser behandeln müssten, dann beschließen wir, dass Frauen, Farbige und Homosexuelle ebenbürtige Menschen sind (manche Gesellschaften sehen das nach wie vor anders, aber dazu ein anderes Mal mehr). Wer weiß, wie sich die Tierethik in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Ich werde das gespannt beobachten.

- Aber du trägst doch selbst eine Lederjacke.


- Ja, das ist wahr (obwohl die schon alt ist). Ich habe mich ja kein einziges Mal als Vegetarierin bezeichnet. Ich habe auch nicht behauptet, dass ich außerhalb des westlichen Konsumverhaltens stehe, dazu bin ich zu sehr von viel zu vielen gesellschaftlich determinierten Faktoren beeinflusst. Was ich aber hoffe ist, dass ich nicht aufhören werde, zumindest darüber nachzudenken und dass noch mehr Menschen in Zukunft darüber nachdenken...und dass das Lederimitat in Zukunft ein bisschen hochwertiger aussieht.

1 Kommentar:

  1. Ich stimme dir im Grunde zu - aus einigen der angegebenen Gründen bin ich u.a. auch eben kein Vegetarier. Trotzdem bin ich für den Veggie-Day. Ich selbst esse max. zweimal pro Woche Fleisch und koche sonst vor allem vegetarisch, manchmal auch vegan (aber nicht, weil ich ein veganes Leben o.a. befürworten würde - es gibt einfach richtig tolle vegane Gerichte, die schlicht schmecken). Ich denke, dass es der Welt schon viel helfen würde, wenn die Fleischesser, gerade in unserer verwöhnten westlichen Welt, Fleisch wieder als Luxusgut wahrnehmen und ihren Konsum auf ein- oder zweimal pro Woche herunterschrauben würden.

    Und ich finde es einfach schwach und daneben, wenn nur wegen eines einzigen vegetarischen Mensatages im Monat so etwas wie ein Protestgrillen ausgerufen wird. Dabei kann man der Sache nicht mal Chauvinismus vorwerfen, denn einer der Mitorganisatoren dieses Protestgrillens ist ein Mädel. Ich wette, dass viele derjenigen, die das veranstalten bzw. da mitmachen, an diesem Tag (wenn er ein normaler Tag wäre und kein ausgewiesen vegetarischer) nicht mal fleischhaltige Kost essen würden, sondern schlicht Nudeln oder so. Es geht eben ums Prinzip - die wollen die Wahl haben, selbst wenn sie sich für vegetarisch entscheiden würden, wenn sie die Wahl hätten.

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